Erinnerungen an die letzten Kriegstage im März 1945
Von Walter Hansmann

"Die letzten Kriegstage gingen ohne größeren Schaden am Ort vorbei. Bomber und Jagdbomber (auch Jabos genannt) flogen über unser Dorf. Wir beobachteten die Angriffe der Jabos auf die Flugabwehrgeschütze, die auf den Eisenbahnwaggons montiert waren, die auf den Gleisen der Aarstrecke hin und her geschoben wurden.

Bei Fliegeralarm flohen wir immer mit Sack und Pack in die Bunker am Schindgraben und am Bornsberg; das waren Stollen mit zwei Ausgängen und waren von den Ortseinwohnern mit Harke und Schippe in den Berg getrieben worden.

An den Ortseingängen von Bonscheuer und Zollhaus waren Panzersperren gebaut worden, die aber, Gott sei Dank, nicht geschlossen wurden, sonst wären die Ortschaften von den anrückenden Amerikanern beschossen worden.

Am Montag, den 26. März, flohen die letzten deutschen Soldaten aus dem Ort. Man hörte im Westen Geschützdonner, was bedeutete, dass die Front immer näher kam.

Die meisten Ortsleute packten ihre sieben Sachen und flohen in den Stollen der Grube Zollhaus (Barbara-Stollen) und verbrachten dort die Nacht und den frühen Vormittag des 27. März, um möglichen Kampfhandlungen zu entgehen.

Plötzlich wurde erzählt, dass keine deutsche Soldaten mehr da waren, was zu bedeuten hatte, dass auch nicht mehr gekämpft wurde. Daraufhin verließen die meisten Leute den Stollen und gingen zurück in ihre Häuser. Einige besonders hitlertreue Familien blieben dort bis der erste Sturm der Amerikaner vorüber war.

Der Stützpunktleiter des Ortes war tags zuvor mit seiner Frau und seinem Sohn, sowie einem Handwagen voll Gepäck auf die Flucht in Richtung Reichsmitte gegangen.

Am Nachmittag des 28. März war es dann soweit: die Amerikaner kamen. Ein einzelner SS-Mann wollte noch verrückt spielen, da ihm sein Fahrrad, wahrscheinlich von den in Kernssaal internierten Italienern gestohlen worden war, wollte er das ganze Anwesen in die Luft sprengen. Ein paar ältere Männer konnten ihn jedoch beruhigen, so dass er abzog und das Weite suchte.

Als erstes kam ein Radpanzer, besetzt mit „schwarzen“ Amis, den Grundweg hoch und fuhr ohne anzuhalten und die jubelnden Italiener zu beachten, in Richtung Zollhaus weiter. Wir Kinder beobachteten von unterhalb des Dorfrandes einzelne Kampfhandlungen im Hohlenfelser Wald. Später wurde bekannt, dass bei diesen Kampfhandlungen noch ein deutscher Soldat fiel, der auf dem Mudershäuser Friedhof begraben liegt.

Die meisten Wohnhäuser hatten zwischenzeitlich weiße Tücher herausgehängt und die Leute standen in den Hauseingängen.

Dann auf einmal gab es einen ohrenbetäubenden Lärm aus Richtung Bonscheuer – es war etwa um vier Uhr nachmittags – und schon rollten die Panzer ins Dorf bis die Straßen voll standen, dann hielten sie an.

Auf einigen Panzern hielten sich krampfhaft gefangene deutsche Soldaten fest. Die Amis sprangen von ihren Fahrzeugen und durchsuchten mit vorgehaltener Waffe die Häuser. Geschossen wurde dabei nicht. Nach einer gewissen Zeit fuhr die ganze Einheit weiter.

Ob unser damaliger Bürgermeister (Spriestersbach), der kein Nazi war, irgendwelche Auflagen oder Order bekam, ist nicht bekannt; jedenfalls konnte er im Amt bleiben. Die Fremdarbeiter und auch die Italiener fingen nun an zu feiern; sie schikanierten auch ihre ehemaligen Arbeitgeber und Vorgesetzten.

Die Italiener holten von der Grube den dort gehorteten Weinbrand und verbrüderten sich mit den Amis. Etwa 300 l sollen innerhalb kurzer Zeit „gesoffen“ worden sein. Auch die Ortseinwohner bekamen was von dem Weinbrand ab.

Die Franzosen, die bei den Bauern arbeiteten und die Russen, die im Kalksteinbruch waren, wurden einige Tage zuvor bereits abtransportiert. Am Karfreitag (30. März) hielt unser Pfarrer schon wieder Gottesdienst und zwar nachmittags um zwei Uhr. Diesen Gottesdienst besuchte ich mit meiner Mutter.

Während des Gottesdienstes kamen die Amis und verlangten die Räumung unserer Häuser in der Berghäuserstrasse und in einem Teil der ehemaligen Adolf-Hitler-Strasse bis zu den Häusern Kern und Krämer binnen einer Stunde.

Wir wurden aus dem Gottesdienst gerufen und mussten eiligst die wichtigsten Sachen packen. Wir zogen mit anderen Familien, die gleichermaßen betroffen waren, in Kerns Haus ein. Unterdessen ließen sich die Amerikaner bei uns im Haus nieder. Im Kerns Haus wohnten in dieser Zeit damals ca. 12 bis 14 Leute (Familien Kern, Friedrich, Hansmann und zwei weitere Familien aus Mainz).

Zum Füttern unserer Tiere durften wir morgens und abends jeweils 1 Stunde in unseren Hof und Stall. Dies ging so etwa zwei Wochen, dann durften wir wieder in unsere Häuser zurück. Allerdings hatten die Amis einiges verwüstet und beschädigt sowie an Wertsachen mitgenommen.

Wir waren uns aber einig: es hätte schlimmer kommen können."

Mudershausen im Jubiläumsjahr 2010
Walter Hansmann

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